Papier mehr wert als Erfahrung

Es gab mal eine Zeit, da ist man in einen Betrieb gegangen, um sich zu bewerben, und dann waren die einzigen Fragen „Hast Du das schon mal gemacht?“, „Wann kannst Du anfangen?“.

Heute hingegen ist die erste Frage immer „Hast Du ein Zertifikat, Ausbildungsnachweis, Gesellenbrief etc. ?“.

Selbsterlerntes zählt nicht

Gut, ich kann es zum Teil verstehen, ich arbeite auch lieber mit Fachleuten zusammen, als mit Laien. Aber was sagt ein Zeugnis denn wirklich über einen Menschen aus? Ich kenne Elektrohandwerksmeister, die im Grunde keinerlei praktische Erfahrung haben. Elektroplaner bzw. staatlich geprüfte Techniker, die Dinge planen, die überhaupt nicht umsetzbar sind.

Ähnlich ist es auch bei mir selbst, ich erstelle seit knapp 20 Jahren Webseiten. Hierbei habe ich (wie hier) mit WordPress gearbeitet, aber auch mit Joomla!, Contana, Drupal, PHP-Nuke, DragonFly, Contrexx, Typo3, Adobe Dreamwaver und Frontpage. Ich habe mir selbst HTML, TurboPascal, PHP und JavaScript beigebracht.

Ich besitze eine selbstkonfigurierte MyOwnCloud, betreibe ein eigenes Heimnetzwerk, und habe auch angefangen mit Adobe Photoshop und Adobe Premier eigene Grafiken und Videos zu erstellen.

Hierfür gibt es keine Nachweise, Zertikate und erst recht kein IT-Studium, und trotzdem kann ich es.

Berufserfahrung wird nicht richtig bewertet

Genauso sieht es allerdings auch in meinem normalen Beruf aus.
2004 habe ich erstmals angefangen mit mit der Elektrotechnik auseinander zu setzen, ein Jahr später gin ich in die Lehre bei einem kleinem Elektrobetrieb mit gerade einmal 3 Mitarbeitern.
Hier musste man noch alles selbst machen, und so konnte man vieles lernen. Leider ging dieser Betrieb nach 1,5 Jahren Lehrzeit in die Insolvenz, so dass ich dort meine Lehre nicht fortführen konnte und mitten in der Immobilienkrise fand ich auch keinen Anschlusslehrplatz.

Also begang ich zu arbeiten, und sammelte Erfahrung und neue Kenntnisse.

Erst im letzten Jahr habe ich dann, dank meines ehemaligen Arbeitgebers, den Gesellenbrief über die Externenprüfung absolvieren können. Hierbei muss man innerhalb von 6 Monaten die Theorie und Praxis der 3,5 Jahre langen Ausbildung erlernen, um die Prüfung an der Innung zu bestehen. Zugegebener Massen war dies nicht so schwer, denn nach 15 Jahren Erfahrung im Elektroinstallationsbereich hat man schon vieles gelernt. Lediglich der theoretische Teil war nicht ganz einfach. Lichtberechnung (welche und wie viele Leuchten benötige ich, damit in einer Industriehalle überall 1500 Lux Lichtmenge vorhanden sind?) oder Motorenberechnung (wieviel Leistung benötigt die Wasserpumpe, um den Pool in 1 Minute mit 20.000 Liter Wasser zu befüllen?) war absolut nicht mein Ding.

Aber ich habe den Gesellenbrief erhalten und bin nun offiziell Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik. Als nächstes Ziel habe ich den staatlich geprüften Techniker.

Ohne Gesellenbrief ist man Nichts

Habe ich mich vor der Gesellenprüfung in einem Betrieb beworben, war die Suche ewig lang, bevor ich überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Und dann gab es ohnehin nur helferische Tätigkeiten, schlitzen, stemmen, Leitungen verlegen. Und das natürlich nur zum gesetzlichen Mindestlohn.

Heute schreibe ich eine Bewerbung, und habe innerhalb von wenigen Stunden sofort die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Es hat sich an meiner Person, meinen Fähigkeiten und Kenntnissen durch den Gesellenbrief nichts geändert, aber der gesellschaftliche Status öffnet ungeahnte Wege.

Beitragsbild von Luis Alberto Cardenas Otaya von Pexels

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